Digitale Enthüllungsplattformen sind in aller Munde. Im Rahmen unseres Schwerpunkts WAS BLEIBT? wenden wir uns dem Pionier dieser Bewegung zu: John Young. Seit den frühen 1990er Jahren betreibt er mit Cryptome.org eine Webseite, die nicht zuletzt Vorbild für WikiLeaks war. Wir veröffentlichen an dieser Stelle ein Portrait. Es ist vor vier Jahren in einem US-amerikanischen Magazin erschienen und bis heute der umfangreichste Text über Leben und Werk des John Young. Der Beitrag bietet heutigen LeserInnen die einzigartige Möglichkeit nachzuvollziehen, wie diese einflussreiche Figur im Medien-Mainstream eingeführt wurde.
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„Warum sollte ich Ihnen glauben?“ Diese Frage stellt John L. Young sehr häufig. Als er sie mir an einem schwülen Tag im Mai stellt und mich mit seinem intensiven Blick aus glasig-blauen Augen über den Tisch in der Bar hinweg fixiert, ist das weniger ein direkter Angriff auf meine Glaubwürdigkeit als ein grausames epistomologisches Rätsel. In der vergangenen Woche habe ich mit Young, einem 71-jährigen Architekten, Geheimdienst-Fanatiker und Besitzer der seltsamen und doch so fesselnden Webseite mit Namen Cryptome, E-Mails ausgetauscht und am Telefon gesprochen, um einen Interview-Termin zu vereinbaren. Dabei habe ich ihm folgende Daten mitgeteilt: meinen Namen (John Cook), Beruf (Reporter), Arbeitgeber (das Magazin Radar), Sitz (216 E. 45ste Straße), E-Mail-Adresse und Telefonnummer.
Young liebt Daten. Er ist versessen darauf, sammelt sie und überprüft sie. Dann stellt er sie auf Cryptome, der Onlinefundgrube für tabuisierte Daten, wo sie mit anderen Daten kollidieren. Gigabyte über Gigabyte gibt es in diesem Meer an chaotischen digitalen Wolken. Cryptome bietet hochauflösende Satellitenbilder von Präsident Bushs Ranch in Crawford; es gibt technische Dokumente, die detailliert beschreiben, wie die NSA, die Behörde für nationale Sicherheit in den USA, den Datenfluss von Computern bespitzelt, sogar die privaten Adressen und Telefonnummern von Regierungsbeamten sind verfügbar (auch die Daten von John Negroponte, dem früheren Direktor der Nationalen Geheimdienstbehörde, die dem CIA untersteht).
Aber Young weiß, dass Rohdaten verdächtig sind. Bevor sie im Internet freigeschaltet werden, dort aufpoliert und mit Hilfe von Querverweisen überprüft werden sowie vom kollektiven Wissen auf Ungereimtheiten und Lücken hinterfragt werden, können sie zur Täuschung benutzt werden. Menschen lügen. Falsche Informationen gibt’s überall. Leute benutzen dich, sie erzählen dir Dinge, die nicht stimmen, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen. Young nennt das gerne „Basishandwerk“. Ich kann ihm meine Visitenkarte zeigen, eine Ausgabe des Magazins, ihm fest und mit ernstem Blick in die Augen schauen und dabei schwören, dass ich die Wahrheit darüber sage wer ich bin. Mit einem sarkastischen Lächeln sagt Young zu mir: „So reden auch Lügner.“
„Das Google der nationalen Sicherheit“
Für Young gibt es keinen Ausweg. Er hat einen guten Grund mich verdächtig zu finden, aber er hat seine Gründe jeden zu verdächtigen. Neugierige Reporter könnten verborgene Absichten haben. Jede noch so beiläufige soziale Interaktion kann ein Versuch sein, Informationen aus ihm herauszubekommen. Jeder freundlich lächelnde Fremde könnte ein trojanisches Pferd sein, jede nette E-Mail der Beginn einer Mission. Ich stelle mir das ermüdend vor.
Laut William Arkin, Kolumnist bei washingtonpost.com und Fachmann für Militär beim Nachrichtensender NBC, ist Cryptome das Google der nationalen Sicherheit. Es ist ein akribisch gepflegtes Online-Kompendium für Informationen (von denen manche bereits vorher der Öffentlichkeit zugänglich waren, andere nicht), das sich der Suche und Veröffentlichung von Geheimdienstdaten verschrieben hat. Die Seite ist klar strukturiert, spröde gestaltet und liefert Informationen in keiner erkennbaren Gliederung.
Einfache rote Links auf Dokumente und Textdateien setzen sich von einem weißen Hintergrund ab. Viele der gesammelten Informationen sind gähnend langweilig: beispielsweise leitet der Link „RFC Keyed-Hash Message Authentification Code“ den Leser auf eine Ankündigung des Federal Registers weiter, die den „Mechanismus zur Nachrichtenauthentifizierung mit Hilfe von Hash-Funktionen und gemeinsamen geheimen Schlüsseln“ des Nationalen Instituts für Standards und Technologie betrifft. Andere Informationen dagegen sind gefährlich, manche gar atemberaubend.
In den letzten Jahren hat Young detailreiche Satellitenbilder von der „Anlage R“ veröffentlicht, einer Militäranlage in Pennsylvania, von der er behauptet, dass sie der geheime Standort von Vizepräsident Dick Cheney sei. Wenige Stunden nachdem das FBI im Juni 2007 erklärte, es würde jene vier Männer anklagen, die geplant hatten am Internationalen Flughafen John F. Kennedy in New York Lagerbehälter für Flugzeugbenzin in die Luft zu sprengen, erschienen auf Cryptome Fotos der Lageranlage des Flughafens, die die genaue Verlegung der Benzin-Pipeline entlang nahe gelegener Wohngebiete darstellte. Regelmäßig veröffentlicht Young Satellitenbilder der Wohnhäuser von Geheimdienstmitarbeitern, wie des Washingtoner Hauses des CIA-Direktors Michael Hayden. Er hat die Namen von 276 angeblichen britischen Geheimagenten des MI6 offengelegt, die Namen von 400 Agenten des japanischen Geheimdienstes und Namen und Privatadressen von – so behauptet er – 2619 Quellen des CIA.
Young ist der verrückte Wissenschaftler der Geheimhaltung. Mit wenig mehr als einem starr einseitigen Fokus und einer Internetverbindung dreht er den Spieß um und entblößt, was er als ein weltweites kriminelles Netzwerk von Geheimagenten ansieht. Und den Spionen gefällt das nicht. Nachdem er 1999 die Liste mit den Namen der MI6-Agenten postete, forderte die britische Regierung angeblich seinen Internetanbieter auf, die Domain zu sperren. Der Anbieter weigerte sich, aber im Mai dieses Jahres teilte Youngs Provider plötzlich ohne Erklärung mit, dass er ab sofort nichts mehr mit der Seite zu tun haben will. Young ist dann sofort zu einem anderen Anbieter gewechselt…………………………..
Young hat bisher 41 000 Dateien hochgeladen, im Durchschnitt kommen 5 000 Besucher pro Tag auf die Seite.
“Freiheitskämpfer der Information”
„Eine gewaltige Organisation von hunderttausenden von Leuten, die über den Globus verstreut sind, verlässt sich komplett auf Geheimhaltung,“ sagt Young über die von ihm ins Visier genommenen Geheimdienste. „Sie sind die unzuverlässigsten Menschen auf der Welt. Und es hat unsere Kultur korrumpiert. Es gibt nichts, dass geheim sein sollte. Punkt.“
„Er ist der Freiheitskämpfer der Information“, sagt Michael Ravnitzky, ein früherer investigativer Reporter, der Young die Ergebnisse seiner Anfragen zum Informationsfreitheitsgesetz für Cryptome zur Verfügung stellte. „Bei jedem Besuch auf der Homepage findet man Dinge, die die eigene Weltsicht verändern und dafür sorgen, dass man die Welt in einem neuen Licht sieht.“ Und Cindy Cohen, stellvertretende Leiterin der Stiftung für Elektronische Grenzen, der Electronic Frontier Froundation, sagt: „Er ist in vielerlei Hinsicht ein Held. Er hat auf ruhige, standfeste Art etwas Fantastisches erreicht.“
Anm.d.Red: Der Luftraum wurde komplett geschlossen, nachdem am 11. September 2001 das erste Flugzeug in das World Trade Center gerast ist. Jetzt sind die Anschläge aus diesem “toten Winkel” auf einem just aufgetauchten Video zu sehen: durch die Augen einer Polizei-Kamera an Bord eines NYPD-Helikopters. John Young hat das Video kürzlich aus einem Materialhaufen geborgen.
Young liest täglich die öffentlichen Register der Regierung, reicht Anfragen zum Informationsfreiheitsgesetz ein, schneidet elektronisch die Berichterstattung aus dem Reich der Geheimdienste aus und macht Gerichtsakten ausfindig. Einmal hat er einem Gerichtsreporter 9 000 Dollar gezahlt, um an die kompletten Transkripte des New Yorker Prozesses gegen Osama bin Laden und 21 weitere Angeklagte für den Bombenangriff auf die Botschaften von Kenia und Tansania zu kommen. (Er verkauft das komplette Archiv von Cryptome als DVD für 25 Dollar und schaltet Anzeigen auf seiner Seite; abgesehen davon trägt Young die Kosten für Cryptome selbst.)
„Cryptome ist ein Späher in der Welt des Geheimdienstes“, sagt Stephen Aftergood, Direktor des Projekts für Regierungssicherheit bei der Vereinigung Amerikanischer Wissenschaftler. „John Young sieht viele Dinge, die andere nicht sehen und postet Sachen, die andere nicht posten oder nicht posten würden. Was es für mich so unglaublich nützlich macht, sind nicht die abgefahrenen Informationen, sondern das tägliche Verfolgen der nationalen Sicherheitslandschaft.“
Die abgefahrenen Dinge: Im Juni 2000 gab ein verärgerter Mitarbeiter der japanischen Version des CIA, der Behörde für öffentliche Sicherheit und Geheimhaltung, Young eine Liste mit mehr als 400 Agenten seiner Behörde. Young stellte die Liste sofort online. Die japanische Regierung beschwerte sich darüber beim FBI und zwei Agenten riefen bei Young zu Hause an, um ihn zu bitten, die Liste von der Website zu nehmen. „Sie war sehr anschaulich und das ist ein Sicherheitsrisiko“, sagt ein Sprecher des FBI. Young lehnte ab und veröffentlichte die Namen der Agenten, die ihn angerufen hatten.
CIA, MI6 und das Paradox der Geheimhaltung
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December 30, 2020
The report of a Swiss investigation into the case of Crypto AG
Last month, the Swiss parliamentary intelligence oversight committee published a report about its investigation into the case of Crypto AG, the former Swiss manufacturer of encryption systems that was secretly owned by the CIA and the German BND.
The committee found that the Swiss foreign intelligence service knew about this covert ownership since 1993 and used its knowledge to decrypt foreign communications, but failed to inform the responsible minister about the case.
Here I will provide a translation of the summary of this report as well as some interesting additional details from the rest of the committee’s report about Crypto AG in relation to the Swiss government.
Summary of the Crypto AG report
The Swiss parliamentary audit committee for national security and the intelligence services (German: Geschäftsprüfungsdelegation or GPDel) started its investigation on February 13, 2020 and published its 64-page report about the Crypto AG case on November 10, in a French (pdf) and a German (pdf) version.—-
https://www.parlament.ch/centers/documents/_layouts/15/DocIdRedir.aspx?ID=DOCID-1-10177
https://www.electrospaces.net/2020/12/a-swiss-parliamentary-investigation.html
Die Informationszugänge des Nachrichtendienstes zur CryptoAG waren auf Stufe der Leitung des SND ein gut gehütetes Geheimnis. Als der Nachrichtendienstdes Bundes (NDB) geschaffen wurde, blieb dieses Wissen jedoch seinem ersten Direktor verborgen. Als dieser einigeJahre später damit konfrontiert wurde, weigerte er sich, seine Führungsverantwortung wahrzunehmen.Erst unter dem heutigen Direktor wurde im Sommer 2019 eine Standortbestimmung in Auftrag gegeben, obwohl er nicht von seinem Vorgänger darüber informiert worden warundnoch bevor der NDB von den Recherchen der Medien zur Cryp-toAG erfuhr. Diesen Informationsvorsprung nutzte er jedoch nicht, um die Entwick-lung der Beziehungen zwischen den Vorgängerorganisationen des NDB, den ameri-kanischen Nachrichtendiensten und der CryptoAG aufarbeiten zu lassen. Anstatt die rechtliche Ausgangslage zu klären und die politische Tragweite zu erkennen,